„Nach Golde drängt, Am Golde hängt Doch alles. Ach wir Armen!“1 Dieser berühmte Satz, den Margarethe in Goethes Faust sagt, als sie unverhofft ein Kästchen mit kostbarem Schmuck in ihrer Kammer vorfindet, beschreibt sehr treffend das zutiefst ambivalente Verhältnis der Menschen zum Gold. Zahllose Legenden und Tragödien ranken sich darum, denn Gold steht für materiellen Reichtum, für Schönheit und Luxus, aber auch für Sicherheit und die Hoffnung auf ein besseres Leben. Aus der Anziehungskraft seines Glanzes und seiner Kostbarkeit erwächst ein Verlangen, es zu besitzen und zu horten. Der sprichwörtliche Goldrausch oder das Goldfieber bezeichnen diese Gier, die Schatzsucher bis heute alles aufs Spiel setzen lässt.
Auf Schatzsuche im Museum
Etwas weniger existenziell, aber dennoch an die genannten Konnotationen anknüpfend, inszeniert der Künstler Surasi Kusolwong mit seiner Installation „Golden Ghost (Welcome Back The Spirits)“ eine Goldsuche im musealen Raum. Er hat dazu eine raumgreifende Installation geschaffen, die zunächst aus einem großen Berg aufgetürmter industrieller Garnreste besteht sowie einem großen rechteckigen Wandspiegel, auf dem in großen Lettern der Titel der Arbeit zu lesen ist. Wer die Arbeit noch nicht kennt, wird zunächst einmal andere Besucherinnen und Besucher beobachten, die sich durch die Fadenreste wühlen und darin nach etwas suchen. Durchsteigen und Berühren des bunten Fadengewirrs ist offenbar erlaubt.
Wer die Arbeit noch nicht kennt, wird zunächst einmal andere Besucher beobachten, die sich durch Fadenreste wühlen und darin nach etwas suchen.
Wer sich weiter informiert, findet heraus, dass sich diese Leute auf einer Schatzsuche befinden. Denn zwischen den Garnresten, so wird es kommuniziert, versteckt der Künstler von ihm gefertigte Goldketten. Als Neuankömmling steht man nun vor einer Vielzahl an Fragen: Soll man sich ebenfalls an dieser Suche beteiligen und damit dem Ruf des Goldes nachgeben? Oder vielleicht doch besser die Szene nur von außen beobachten? Was aber, wenn man ausgerechnet heute den Fund seines Lebens gemacht hätte? Oder gibt es vielleicht überhaupt nichts zu finden? Will man den Frust einer erfolglosen Suche nach der sprichwörtlichen Nadel im Heuhaufen auf sich nehmen? Und ist das nicht überhaupt alles ein großer Schwindel – der Titel „Golden Ghost“ lässt ja zumindest zweifeln?!
Surasi Kusolwong, der in Bangkok lebt und arbeitet, ist ein bedeutender Vertreter der Relational Art. In seinen interaktiven Installationen setzt er sich wiederholt mit Konsumkultur und den Verstrickungen von Leben, Ökonomie und Kunst auseinander. Dabei kommt es immer auf die Partizipation der Rezipienten an. Oft werden sie in unterschiedliche Markt- und Tauschbeziehungen verwickelt, die der Künstler im musealen Raum spektakulär inszeniert. Für „One Pound Turbo Market (You’ll have a good time)“ beispielsweise, das er 2006 in der Tate Modern in London gezeigt hat, verwandelte er die große Turbinenhalle in das, was man hierzulande als „Ein-Euro-Shop“ bezeichnet, und verramschte für jeweils ein Pfund bunte Billigprodukte. Die Besucher/innen konnten ihren Konsumgelüsten nun sogar im Museum freien Lauf lassen.
Welche Bedeutung dieser Umwidmung des musealen Raums zukommen sollte, blieb der Interpretation des Publikums überlassen. In dieser und anderen Arbeiten nutzt Kusolwong häufig Industrieprodukte, Alltagsgegenstände aus Plastik und anderen billigen Materialien, die er massenhaft zusammenträgt. Diese Materialanhäufungen zeugen von absolutem Überfluss und regen neben einer nicht zu vernachlässigenden Schaulust auch durchaus zu Fragen nach unserer zeitgenössischen Konsumkultur an: Wer braucht das alles? Wer hat es hergestellt und wo? Und was geschieht damit, wenn es nicht (mehr) gebraucht wird? Solche Fragen bestimmen dann auch automatisch die Reaktionen der Rezipienten, die unweigerlich Teil des Kunstwerks werden, egal ob sie teilnehmen oder nur zusehen.
Golden Ghost: Nur ein riesiger Spielplatz?
Ähnliches gilt auch für die Installation „Golden Ghost“, die zunächst wie ein riesiger Spielplatz anmutet. Tatsächlich ist es für viele vor allem die Freude an der Suche und am Spiel, die sie der inszenierten Schatzsuche abgewinnen. Dieser Eindruck entsteht zumindest, zieht man Blogs und Instagram-Accounts zurate, in denen zahlreiche Besucher/innen der Installation in vorangegangenen Ausstellungen bilderreich über ihre Erlebnissen posten. Zum spielerischen Umgang mit dem Werk gehört nicht nur die Suche, sondern auch das Ertasten und Erleben der ungewohnten Umgebung, das Herumtollen in den Baumwollfadenknäulen, das sich Hineinlegen, das sich selbst oder andere darin Ein- und wieder Ausgraben. Doch hat die Arbeit – der Spiegel mag es mehr als deutlich betonen – auch eine durchaus kritische Dimension. Den Suchenden wird wortwörtlich ein Spiegel vorgehalten.
Zunächst stellt sich die Frage, wie solche Massen an Garnabfällen zustande kommen, denn bevor das Garn zum Industrieabfall wurde, war es ein Wertprodukt, die Baumwolle wurde durch vieler Hände Arbeit gepflückt, gefärbt und gesponnen, dann aber offenbar nie verarbeitet. Das Wühlen nach Schätzen in diesen Industrieabfällen mag zudem Assoziationen wachrufen mit Bildern von Menschen, die aufgrund ihrer Notlage gezwungen sind, Müllhalden nach Ess- oder Brauchbarem zu durchsuchen. Die Goldsuche könnte aber auch als Sinnbild für den modernen Kapitalismus und einen ad absurdum geführten Pioniergeist gieriger Spekulanten interpretiert werden. Oder geht es nicht vielmehr, im positiven Sinne, um eine Suche nach Erkenntnis, denn Gold steht ja auch für Reinheit und Licht? Im Vergleich zu anderen Arbeiten des Künstlers wird deutlich, dass es genau dieses Schwanken zwischen Spielplatz, Kritik und Erkenntnis ist, das sich wie ein roter Faden durch sein Werk zieht.
Oder geht es nicht vielmehr um eine Suche nach Erkenntnis, denn Gold steht ja auch für Reinheit und Licht?
Obwohl „Golden Ghost“, anders als viele Arbeiten von Kusolwong, keinen Markt im herkömmlichen Sinne darstellt, verstrickt der Künstler sein Publikum doch in eine Form der Tauschbeziehung. Wer eine Goldkette findet, darf diese als Geschenk behalten. Zuvor muss aber seitens der Suchenden Energie investiert werden, ihre Beteiligung am Kunstwerk ist die Gegengabe an den Künstler, von der das Gelingen seines Werks abhängt. Der Antrieb zur Partizipation wird dabei durch das Gold um ein Vielfaches verstärkt, denn wie könnte man vergleichsweise gut situierte Ausstellungsbesucher/innen besser aus der Reserve locken als durch das Erwecken ihres Verlangens nach einem Glücksmoment, nach einem Goldfund? Dieses Verlangen, dieser Erregungszustand der menschlichen Psyche stellt – glaubt man Jacques Lacan und anderen Theoretikern, die sich mit diesem grundmenschlichen Zug auseinandergesetzt haben – sogar eine Grundvoraussetzung für jede Form menschlicher Interaktion dar. Die unsichtbar-treibende Kraft des Verlangens wird durch Kusolwongs Werk sichtbar gemacht, mit all ihren positiven wie negativen Auswirkungen. „Nach Golde drängt, Am Golde hängt Doch alles.“
Lisa Beißwanger
Lisa Beißwanger ist Kunsthistorikerin und lehrt an der Justus-Liebig-Universität Gießen. Derzeit verfasst sie eine Promotion zum Thema performative Kunstformen in musealen Kontexten.