Corgis sind schwer zu übersehen und erst recht nicht zu verwechseln: Sie tragen den Kopf eines großen Hundes auf dem Körper eines sehr viel kleineren, und ihre unmöglichen Proportionen sind ein Attribut, das sie sehr charmant macht. Sie sind zu viel Hund für zu wenig Körper, zu viel kluger Hund (großer Kopf!), und gleichzeitig verbergen sie nicht, dass sie trotz allem und zugleich recht kleine Wesen sind. Die einen auch in die Fersen zwicken, wenn es ihnen zu langsam vorangeht. Das ist eine weniger schöne Eigenart dieser Hunderasse.
Die berühmteste Corgi-Besitzerin der Welt ist die Queen: Im Abend- oder Teekleid, im Salon und im Garten, überall wird sie umringt von einer kleinen Hundemeute, was man auf vielen offiziellen Fotografien sehen kann. Im Laufe ihres Lebens soll sie insgesamt über 30 Corgis besessen haben, nach dem Tod ihrer letzten Begleiter gibt es allerdings einen „Corgi-Ban“, denn mit zunehmendem Alter wurden die Tiere zur Stolperfalle für die Königin von Großbritannien. Bei den britischen Royals haben Corgis Tradition: Seit über sieben Dekaden werden sie gehalten, eine Generation folgt auf die nächste. Es sind Pembroke Welsh Corgis, keine Cardigan Welsh Corgis. Ein Pembroke war auch der Begleiter von Michel Houellebecq, bis der Hund 2011 verstarb. Er hieß: Clément. Tiere
Es gibt zahlreiche Fotos, die Michel und Clément in inniger Verbundenheit zeigen; Houellebecq und seine Frau tauchten auch schon einmal gemeinsam auf der Webseite ihres Hundezüchters auf. Im Palais de Tokyo widmete der Besitzer seinem verstorbenen Pembroke Corgi 2013 im Rahmen seiner Einzelausstellung „Rester vivant“ einen eigenen Raum, mit Glasvitrine auf rotem Tartan, der vielleicht auch der Queen gefallen könnte. In der Vitrine befand sich eine Sammlung auf Clément bezogener Gegenstände – Kuscheltiere und Kaubälle, in der Mitte ein Fotoporträt –, zusammengefügt im Stile eines durchaus anziehenden Kuriositätenkabinetts. Ergänzt wurde die Installation durch Aquarelle, die Houellebecqs damalige Frau von Clément anfertigte. Was aber hatte dieser Raum in dem gesamten, großzügigen Ausstellungskomplex mit politischer Kunst zu tun?
Das vielleicht dümmste und zugleich schönste, weil tief blicken lassende Zitat über Michel Houellebecq stammt von Moritz Bleibtreu und lautet: „Junge, du erzählst die ganze Zeit aus der Perspektive der Leute, die auf der Schattenseite geboren sind, stehst selbst aber seit 15 Jahren auf der Sonnenseite und hast vorab eine Million Euro für deinen neuen Roman bekommen.“¹ Nun, wenn Geld tatsächlich ein Grund sein sollte, irgendetwas weniger kritikwürdig zu finden, ist das eine Sache, aber zumindest den Unterschied zwischen Autor und Werk, zwischen dem Autor und seinen Figuren, von dem sollte doch zumindest ein professioneller Schauspieler schon mal gehört haben. Und da wären wir wieder bei dem wesentlichen Charakteristikum des „Salle Clément“: Denn hier scheint der Künstler, ganz im Gegensatz zu seinen Büchern, ganz unironisch eins mit seinem Protagonisten, dem Hundebesitzer Michel Houellebecq.
Houellebecq ruft bestenfalls Unverständnis und schlimmstenfalls Hass hervor, schon ohne irgendetwas explizit zu sagen.
Seine Bücher über Menschenhandel und Sterbehilfe, überhaupt über die Käuflichkeit des Menschen, über Neurobiologie und Islam werden gefeiert und gehasst: Er wird gehasst. Das klassische Blame-the-messenger-Prinzip: Der Typ sagt schmutzige Sachen, er muss selbst schmutzig sein.
Wenn keiner das hören will, wovon man seit Jahren spricht, eventuell auch warnt, dann bleibt nur der Eskapismus. Woody Allen hat mal gesagt, Religion sei für ihn nicht nachvollziehbarer Eskapismus² – da würde ihm Houellebecq wohl zumindest persönlich recht geben. Was das gesellschaftliche Phänomen angeht, würde er eventuell widersprechen. Allen gefällt zum Beispiel Sport, zugucken natürlich, nicht spielen. Aber auch Tiere sind eine gute Option, wenn man die Schnauze voll hat: Der Rückzug ins Private, auf die eigene Scholle, funktioniert mit Kindern oder Haustieren definitiv besser als ohne. Die Rechtfertigung für den Weg ins Private, sich der Sphäre der Öffentlichkeit zu entziehen, wird leichter überflüssig. Aber wie steht es mit dem berühmten Credo, alles Private sei politisch? Und ist dies in Zeiten, wo sich beide Sphären gegenseitig durchdringen, nicht ohnehin obsolet?
Salle Clément: Ein Memorial
Auch als zynische Zwischenmeldung eines Enttäuschten oder als Nihilismus ließe sich der Corgi-Raum deuten: „Fuck art“, sie kann sowieso nichts ausrichten. Und erst recht kann die Kunst keinen Beitrag zum Weltfrieden leisten, engagierte Menschen, engagierte Künstler machen vermutlich alles nur schlimmer – was, wenn man nur ein wenig der Dialektik der Geschichte folgt, keine so abwegige Deutung wäre.
Die Frage, was der Autor und hier der Künstler uns sagen möchte, erübrigt sich, wenn er selbst dazu schon Rede und Antwort gestanden hat. Man kann Michel Houellebecq vieles unterstellen oder es zumindest versuchen. Der Vorwurf, er verfolge eine geheime Agenda, die er hinter Geschichten und Bildern mühsam chiffriert, gehört nicht dazu. Houellebecq sagt eigentlich oft recht genau, was er möchte oder was er denkt. Dabei ist er nicht kongruent mit seinen Figuren oder mit seiner Kunst. Genau das scheint für seine Gegenüber oftmals das schwierigste zu sein: Ihm schlichtweg zu glauben. Was also sagt Michel Houellebecq über den „Salle Clément“? „C’est la seule salle autobiographique, et la seule totalement émouvante“ – es ist der einzige autobiografische Raum in der gesamten Ausstellung, und der einzig ganz und gar berührende, bewegende: „C’est un mémorial.“³
Ist der „Salle Clément“ mit seinen Devotionalien an Michel Houellebecqs honiggoldenen Pembroke Corgi deshalb ein Zugeständnis an alle, die er vor den Kopf gestoßen hat? Aber nein! Gerade indem sich hier der kuschelige Hundefreund zeigt, ergebener Mensch zum ergebenen Tier, kann an seiner Aufrichtigkeit nicht mehr gezweifelt werden. Monsieur Houellebecq ist durchaus Mahner, Ätzer, Kritiker, aber eben kein Hetzer, kein Apologet, der sich für Parteiwerbung oder irgendetwas dergleichen einspannen ließe. Er ist – last but not least – auch kein Privatmensch, den viele andere Dinge mehr interessieren als die Bigotterie linker Intellektueller in Frankreich, aber auch überall sonst in der westlichen Welt. Aber diese private Freiheit, zum Beispiel mit diesem Corgi, die ist ihm etwas wert. Das ist die tragische, die persönliche Fallhöhe des Künstlers, und das macht alles andere, was außerhalb des „Salle Clément“ geschieht, noch viel schmerzhafter.
Katharina Cichosch
Katharina Cichosch hat Bildende Kunst studiert und schreibt als freie Autorin für Print und Onlinemedien. Von der Gelegenheit sowohl über niederläufige Hunde als auch über ein Werk von Michel Houellebecq gleichzeitig schreiben zu können, war sie ebenso angetan wie von der Tatsache, dass der Kurator Matthias Ulrich das Werk von Houellebecq unabhängig der üblichen „Wir sind uns alle einig“-Politkunst in der PEACE Ausstellung zeigt.