Die Ausstellung PEACE versteht sich als eine „diskursive“ Ausstellung, denn sie wird von der Frage geleitet, wie Frieden eigentlich geht. Sie formuliert auch eine These, die anstatt einer Antwort vielmehr einen Ausgangspunkt für die Auseinandersetzung bietet: Frieden ist ein Prozess und wird durch Interaktion und Kommunikation zwischen allen im Ökosystem existierenden Akteuren bestimmt. Die eingeladenen Künstler und gezeigten Arbeiten sind als Teil dieses Diskurses zu verstehen – und bestenfalls ist die Rolle, die sie spielen, jede Erstarrung des kommunikativen Austausches zu verhindern.
Dies gilt jedenfalls für Jan De Cocks skulpturales Projekt „Everything For You, Frankfurt“. Dieses ist bereits Wochen vor der Eröffnung angelaufen und besteht aus Skulpturen, die der Künstler an verschiedenen Orten baut, bevor er sie versetzt oder gar entfernt. Die Objekte bestehen aus aufeinandergestapelten oder nebeneinander aufgestellten Betonformen unterschiedlicher Größe und Farbe, mitunter verbunden mit Holz- oder Metallelementen. Sie wurden zunächst vor dem Städel Museum, auf dem Uni-Campus und in der Nähe des Doms aufgebaut. Bei jeder Versetzung werden die Elemente variiert und in unterschiedliche Konstellationen gebracht. Dabei erinnert ihre „Un-Form“ eher an Bauschrott als an eine traditionelle Skulptur; sie wirken sperrig, störend, zufällig und deplatziert. Vermutlich wären sie gar unscheinbar, wäre da nicht die geschlossene architektonische Umgebung, die im starken Kontrast zu den Skulpturen steht.
Das Projekt gehört zur Werkreihe „Everything For You (EFY)“, die De Cock seit einigen Jahren ausführt. Hierzu fertigt er geometrisch-abstrakte Module aus billigen Baumaterialien wie Sperrholz, Gips, Terrakotta, Metall oder Beton. Die als Modelle von Denkmälern fungierenden Objekte werden in eine Stadt transportiert – so unterschiedliche Orte wie Herford, Hong Kong, Mexico City, Carrara, Kiew und demnächst New York – und dort arrangiert. Oft werden vor Ort gefundene Materialien einbezogen oder, wie in Frankfurt, Farben – man erkennt das charakteristische Rot der Fassade des Portikus oder des Doms. Das Projekt beinhaltet einen weiteren Schritt: Bevor die Objekte zerlegt und abtransportiert werden, fertigt De Cock Fotografien an. Diese sind sich formal ähnlich: Die Skulpturen sind stets nah im Vordergrund platziert und etwas überbelichtet. Dadurch wirken sie wie auf die Umgebung aufgelegt, auch die optische Distanz wird verkürzt. Im Hintergrund kann alles mögliche sein – Firmenschilder, Fachwerkhäuser, Schaufenster, historische Fassaden. Gelegentlich geraten auch Menschen ins Bild. Doch wie auf einem Schnappschuss wirkt ihr Erscheinen beliebig – womöglich deshalb, weil sie die Skulptur gar nicht wirklich wahrnehmen. Entsprechend fügen sich die Objekte in den Kontext ein – nicht anbiedernd, eher eigenwillig, sogar rücksichtslos.
Ein Geschenk, so bezeichnet Jan De Cock seine Skulpturen. Eine Gabe an die Stadt, die Bevölkerung und die Architektur. In dieser Ausstellung, die auf Prämissen der Zirkulation und Kommunikation gründet, ist das Projekt zentral, denn das Geschenk ist eine der traditionellsten Formen des Tausches. Dabei stehen De Cocks Skulpturen nicht lediglich repräsentativ für das Geschenk, sondern dieses entfaltet sich durch sie, sie lassen die Gabe sich ereignen – was auf den ersten Blick widersinnig erscheint, weil diese Objekte nicht als „schön“ gelten können und erst recht nichts mit einem Aufspüren des Interesses des Beschenkten zu tun haben. Oder doch?
Memorial Paper
Das Projekt beinhaltet einen weiteren und letzten Schritt: Die Fotografien werden sämtlich in eine auf Zeitungspapier gedruckte, stets gleich aussehende Publikation aufgenommen, die in den ausstellenden Kunstinstitutionen kostenlos ausliegt. In dieser Publikation erscheint ganz vorne das von De Cock formulierte „Manifest For Sculpturecommunism“. Ein Manifest, das so beginnt: „Dear customer, please forgive me for saying that you are no longer king“, und das eine deutliche Kritik an der heutigen Marktwirtschaft bereithält: „The corporate industry has been using you as an object, as an ideology for the masses“.
Hingegen betrachtet De Cock die „EFY“ als eine „notwendige Korrektur der Marktökonomie“ und erklärt auch, was er unter Geschenk versteht: ein Objekt, das nicht auf die unmittelbare marktfähige Absetzung abzielt und es ablehnt, sich vor dem Publikum zu rechtfertigen. Zudem ein Kunstwerk, das in jeder Stadt, egal wo, den Raum hin zu einer neuen Welt eröffnet. Skulpturenkommunismus sei dementsprechend vor allem als „ästhetisches Investment“ zu verstehen, mit dem der Künstler etwas anderes als die umgebenden Objekte schafft. Dies sei auch die skulpturale Form einer „sozialen Differenzierung“, wo ökonomische Knappheit zur Grundlage von Multiplizierung wird. Letztlich, so De Cock, sei das Projekt ein Geschenk an den Kapitalismus und ein Geschenk, das die Kunst vom Kapitalismus befreit; es ist die Spende des Künstlers an die künstlerische Freiheit.
Wie bereits der Titel ankündigt, erfasst De Cocks Projekt nichts weniger als die Relation zwischen Markt, Kunst, Macht und Freiheit – eben „Everything“. Jede EFY-Publikation veröffentlicht zwei Essays, die unterschiedliche theoretische Fragestellungen behandeln. In der Frankfurter Ausgabe diskutieren Angela Dimitrakaki und Bruno Bosteels theoretische, historische und formale Kontextualisierungen, die De Cocks Manifest explizit anspricht. Was bedeutet es heute, den Begriff „communism“ zu verwenden? Wieso die Referenz auf die moderne Skulptur von El Lissitzky, Constantin Brancusi, Donald Judd, Ilja Kabakov, Franz West? Wie ist die Avantgarde hinsichtlich künstlerischer Produktion von heute zu verstehen und welchen Einfluss haben deutscher Idealismus und Romantik auf De Cocks Projekt?
Der Weg aus der Institution hinein in den öffentlichen Raum ist bereits in früheren Arbeiten des Künstlers zu sehen. 2005 hatte Jan De Cock eine Ausstellung in der Schirn. Für „Denkmal 7“ fertigte er einfache Module, die mit Kisten und Schachteln vergleichbar sind, um diese vor Ort zu einem Kasten mit labyrinthischem Inneren zusammenzusetzen. Diese Box bildete damals den Durchgang zum Museum. Es war eine De- und Rekonstruktion des Museums, die den Schwellenraum erforschte, um Potenziale des zeitgenössischen Raums vor allem durch den Anstoß politisch-ästhetischer Kommunikation zwischen Innen und Außen, zwischen Kunst und Nicht-Kunst, zwischen Aktion und Reaktion zu erforschen. Darin erkennt man eine besondere Form der Institutionskritik, die auf die Erweiterung der ästhetischen Autonomie als operativer Logik abzielt.
2014 gründete De Cock The Brussels Art Institute – einen Ort, wo in der Tradition des Bauhauses Kunst, Film, Musik, Theater und Begegnungsorte zusammen existieren. Während das finanzielle Überleben des Instituts stets ungewiss ist, werden dessen Räume und Bestände inzwischen von hunderten Studenten genutzt. Heutzutage ist der öffentliche Druck auf die Kunst spürbar, dass diese auf dringliche politische Fragen reagieren soll. So sucht die Kunst nach Möglichkeiten, sich als soziale Praxis zu zeigen, um ihre Rolle in der Gesellschaft zu sichern. Zu einem gewissen Grad bedient auch De Cock diese Rolle, doch entzieht er sich, weil er stets darauf bedacht ist, die Autonomie des Kunstwerkes zu erhalten und zu erweitern. So weisen seine Arbeiten eine gewisse Komplizenschaft mit dem kritisierten Gegenstand auf, was auch mit einem grundlegenden Zweifel an der Möglichkeit von Widerstand einhergeht. So hat dieses „Everything“ eine pathetische und eine skeptische Seite, wie auch eine menschliche. Dies alles hat auch mit Frieden zu tun. Jan De Cock schafft eine Zirkulation, die Kontexte und Medien, Produktion und Rezeption erfasst.
Jan De Cock schafft eine Zirkulation, die Kontexte und Medien, Produktion und Rezeption erfasst.
Der Flow wird durch Generosität und Irregularität angetrieben, die das Leben dem missbräuchlichen kapitalistischen Austausch entziehen und es sichern. Weil Frieden erst mit dem Hinterfragen von Autorität und Macht möglich wird, ist Jan De Cocks Projekt geradezu notwendig.
Viktoria Draganova
Viktoria Draganova lebt als Autorin und Kuratorin zwischen Frankfurt am Main und Sofia, Bulgarien, wo sie den Project Space Swimming Pool leitet.