Masken von weißen Königspudeln schweben vor schwarzen Wänden. Es zischt, quietscht und zwitschert, dann ist eine sanfte Frauenstimme zu hören. „Eat. Shit. Love.“ Das Stimmengewirr wiederholt sich. „Eat. Shit. Love.“ Dazu flimmert ein Ballett der Farbkontraste über vier Flachbildschirme und eine Projektion. Pudel, Schäferhunde, Maden, Sonnenschein, Palmen und Donuts – unsere katastrophale Welt ist die Welt der Lebewesen, der Dinge und Objekte, die uns umgeben und beherrschen. Heather Phillipsons Videoanimation ist eine HD-Collage, deren Narration sich aus wilden Assoziationsketten zusammensetzt und nur zum Teil entschlüsselbar ist. Obwohl die Montagen simpel erscheinen, sind die Effekte grandios: Heraufbeschworen wird die totale Überforderung, gefolgt von dem leeren Gefühl der Desillusion.
Heather Phillipson ist Künstlerin und Autorin. Sie schreibt Gedichte, doch wenn sie an die Grenzen des Beschreibbaren stößt, inszeniert sie immersive Videoinstallationen, in denen Sprache und Bild eine neue Welt des Fantastischen bilden. Die Videoarbeit „100% Other Fibres“ empfindet die echte Geschichte des Polizeihundes Gavin nach, der an einer posttraumatischen Störung litt und – sobald er lauten Geräuschen ausgesetzt war –erstarrte. “Diese Idee eines Tiers/Lebewesens”, sagt die Künstlerin im Interview, “von dem der Staat Gebrauch macht und das die Folgen dieses Einsatzes verkörpert, ist das mehr oder weniger explizite Thema. Aber durch die gehäuft auftretenden, multiplen, wiederkehrenden Körper – Hunde und Menschen, die als Automaten, Kadaver, Müll oder Lustobjekte eingesetzt sind – wirft die Arbeit auch Fragen nach dem auf, was sich alledem entzieht, nämlich rein körperliche Pflichtfunktionen: Sex, Fortpflanzung, Verfall.”1 Der Hund und seine Geschichte verkörpern das Abgrundhafte unserer Welt. Das Video wird zu einem brodelnden Problemkessel über die absurden Verstrickungen von Kritik und Kommerz, Liebe und Hass, Schutz und Bedrohung, Leben und Tod.
Das Video wird zu einem brodelnden Problemkessel über die absurden Verstrickungen von Kritik und Kommerz, Liebe und Hass, Schutz und Bedrohung, Leben und Tod.
„100% Other Fibres“ ist im Jahr 2016 als Auftragsarbeit für die Kunstmesse Frieze in New York entstanden. So verführerisch bunt – gespickt mit niedlichen Hundebildern, leckeren Süßigkeiten und lauten Popsongs – das Werk auch auftreten mag, die Künstlerin ist sich des obszön kommerziellen Kontexts, in dem zeitgenössische Kunst auf Verkaufsmessen präsentiert wird, sehr wohl bewusst. Die grellen Farben, das helle Licht, das ein- und aufsaugende Erlebnis, das alles sind doppelbödige Techniken, mit denen Phillipson um unsere volle Aufmerksamkeit buhlt, um schließlich eine Geschichte der zutiefst narzisstischen Ausbeuterei und des – im Grunde genommen – echten Lebens zu erzählen. Dabei bedient sich „100% Other Fibres“ gnadenlos der Verführungseffekte, welche die kapitalistische Werbewelt erfunden hat, um schließlich doch alles als Fassade zu entlarven, was diese Welt nur vorgibt zu sein. Tiere
#JeSuisChien
Während die 5-teilige Videoanimation entstand, verfolgte Phillipson außerdem die Berichterstattung über die erste Selbstmordattentäterin Frankreichs. Es war im November 2015, als Hasna Aït Boulahcen, 26 Jahre, sich und andere bei einer groß angelegten Polizeirazzia in den Tod riss. Sie versteckte sich mit mehreren Anhängern des Islamischen Staates, unter anderem auch dem international gesuchten Abdelhamid Abaaoud, dem mutmaßlichen Drahtzieher hinter dem Pariser Bataclan-Attentat, in Saint-Denis und zündete die Bombe, als Polizisten die Wohnung stürmen wollten. Die merkwürdige Berichterstattung, die flapsigen Beschreibungen, die zerrütteten Bilder um dieses Ereignis ließen Phillipson nicht mehr los und sind als Fragmente in den Arbeitsprozess der Videos mit eingeflossen. Auch die Geschichte um den Polizeispürhund Diesel, einen Belgischen Schäferhund, der als erster in das Apartment geschickt wurde und in einem Schussgefecht zu Tode kam, wird im Verlauf des Videos verarbeitet. Der Hashtag #JeSuisChien machte Diesels Geschichte in den sozialen Netzwerken bekannt und posthum wurde ihm aus Anerkennung die französische Ehrenmedaille verliehen. Phillipson thematisiert ihr Unbehagen angesichts dieser Nachrichten und scheut sich nicht davor, auch ihre eigene Sprachlosigkeit und Schockstarre offenzulegen.
In „100% Other Fibres“ tauchen leblose Pudelmasken immer wieder auf, Spielzeughunde laufen von links nach rechts durch das Bild, drehen sich im Kreis, gehen in Rauch auf und präsentieren Phillipsons Erinnerungen an das Attentat in ihrem gesamten Wahnsinn. Dabei macht sich die Künstlerin zunutze, dass die filmische Erzählstruktur der Endlosschleife formale Ähnlichkeiten zu Erinnerungen aufweist: Bilder wiederholen sich ungefragt, scheinen auf und verschwinden, erschrecken uns wie Gespenster und sind immer real und irreal zugleich. „Wie schon sein Name sagt, ist das Gespenst (spectre) die Frequenz einer gewissen Sichtbarkeit. Allerdings der Sichtbarkeit des Unsichtbaren“, schreibt Jacques Derrida. „Das Gespenst ist unter anderem auch das, was man sich einbildet, was man zu sehen glaubt und was man projiziert: auf eine imaginäre Leinwand, dahin, wo es nichts zu sehen gibt.“2 Die Technik der Animation bietet Phillipson ein Format, um ihrem Gefühl, die Bilder der medialen Nachrichten würden sie wie Gespenster verfolgen, Ausdruck zu verleihen.
Jacques Derrida
Die Künstlerin setzt sich in ihrer Videoinstallation mit den Themen Terrorismus, Kapitalismus und deren medialer Vermittlung auseinander. Diese drei Erzählstränge kreuzt sie miteinander und es fühlt sich fast so an, als würden wir – die Besucher – mittendrin in ihren Gedanken- und Erinnerungsbildern stecken. “Natürlich ist wie immer all das, dieser ganze Kram, so sehr wie er alles andere ist, eine Projektionsfläche um über andere Dinge zu sprechen: Über unsere Bedürfnisse, unseren Konsum, was wir beanspruchen, die Konsequenzen unserer Handlungen. Körper als Grenzpunkte – als Orte der Penetration, der Aufnahme, des Überschusses”, 3 sagt Phillipson. Mit einem leeren, desillusionierten Gefühl bleibt man zurück. Ist es wirklich nur die glänzende Oberfläche, der gute Schein des Kapitalismus, der unsere Welt heute noch zusammenhält?
Vivien Trommer
Vivien Trommer (*1986) lebt in Frankfurt am Main und arbeitet als freiberufliche Autorin und Kuratorin.