„Peace is not the absence of conflict, but the ability to cope with it.“ Dieser Satz fällt zwar nicht in Ed Fornieles’ aktueller Zweikanalinstallation „Sim Vol. 1: Existential Risk“, er könnte aber ihr ernst gemeintes Motto sein. Für „Der Geist: The Flesh“, die Arbeit, aus der er stammt, trifft das nicht oder anders zu.1 Dort ertönt er als nur eine von zahllosen Weisheiten des Selbstmanagements, was vom Ort dieses Textes aus leicht als lachhafter Aufruf zur Egomanie verstanden werden könnte.
Aber auch in „Sim Vol. 1: Existential Risk“ dauert es eine Weile bis sich der Bedeutungshorizont weitet. Titel und Intro führen zunächst mit ihren Zitaten der Spiel- und Filmindustrie verstärkt in Richtung popkultureller Aneignung – etwas, das Fornieles in seinen bisherigen Arbeiten extensiv betreibt: Das Computerspiel Die Sims, seit 2000 auf dem Markt, gilt als weltweit meist verkauftes2 und ist offensichtlicher Namenspate. Es lädt zu einem simulierten Leben ein, das dank Add-ons auch mit Zauberkräften, als Pirat oder Edelmann gespielt werden kann. „Die Sims“ ist so beliebt (und kommerziell erfolgreich), dass Depeche Mode, Avril Lavigne und Katy Perry auf Simlish singen, einem Mix unter anderem aus Ukrainisch, einer philippinischen und einer Sprache der Apachen, der nur über die Intonation einen Rückschluss auf Stimmung und Haltung zulässt. Ed Fornieles setzt in seinen ersten zwei Filmminuten mit einer heiter rhythmischen Musik ein – James Ferraros „Marketphagia“ von dessen Album „Human Story 3″.3 Das melodische Motiv erinnert an das einer Aufbruchstimmung. Zum oft stroboskopischen Wechsel von Apokalypsen- und Alien-Filmplakaten, Bildern von Atompilzen und Viren in der Eingangssequenz passt das gar nicht. Deren Düsterheit löst erst die darauffolgende Schilderung einer Rollenspielerin ein, statisch-frontal in die Kamera gesprochen und linkerhand projiziert. Die junge Frau erzählt, wie die [sic!] Krankheit begann sich auszubreiten, wie sich Erkrankte stapelten (was wohl deren Tod bezeichnet) und wie sie erste Symptome an sich selbst bemerkte. Bis zu dieser Stelle – rechterhand verbildlichen immer wieder einsetzende 3D-Animationen den Rapport – lässt sich „Sim Vol. 1: Existential Risk“ mit eben jenen parasitären Strategien von Fornieles („I am a thief, not a maker“4) zusammendenken, mit denen er seine Arbeiten in und durch Gemeinschaften, deren sozialen Konventionen und Kommunikationsmedien hindurch realisiert. Etwa „New York New York Happy Happy (NY NY HP HP)“, eine 2014 im New Yorker New Museum veranstaltete Performance im Format einer Party, für die die Teilnehmenden verschiedene Charaktere käuflich erwerben konnten. Je mehr Geld, desto größer die Rolle im offenen Handlungsverlauf, für den der Künstler einzig das Ende vorgegeben hatte: er sollte in eine Orgie münden. Oder „Dorm Daze“ (2011), eine Facebook-Sitcom, für die Fornieles Charaktere anhand bestehender Facebook-Profile von Studierenden entworfen hat, die dann von anderen mit ihm ein Vierteljahr lang teils nach Skript, teils frei gespielt worden sind. Wobei, der Logik von Facebook folgend, die aktivsten Teilnehmer mit der meisten Aufmerksamkeit belohnt wurden.
Fornieles ist dafür kritisiert worden, keine deutliche Kritik an den Mechanismen und Manipulationen unserer Kommunikationsökonomie zu formulieren.5 Wie eine ‚gute’ Kritik ausgesehen hätte, bleibt dabei unbenannt. Sie scheint aber ein Außen zu beanspruchen, eine Distanznahme, die Fornieles nicht liefert. Im Gegenteil, er selbst ist tief drin, wenn auch vielleicht bewusst nur als Künstler-Ich. Seine Social Media-Profile, seine Website, so ließe sich als These formulieren, sind Teil seiner Arbeit, für die nicht die Frage nach Authentizität relevant ist, sondern die, wie Fornieles mit den vorgefundenen Inhalten umgeht und seine Teilnahme gestaltet. „I am not interested in personal taste, and I don’t like to judge—the more I can take myself out of the decision-making processes the better.“6
Produktionsästhetisch und kunsttheoretisch ließe sich diese Haltung an den Begriff des Zufalls anschließen. Das Genre des Rollenspiels jedenfalls, das Fornieles vielfach in seine Arbeiten einbindet und das sich in der aktuellen explizit entfaltet, stellt sich als überzeugende Variation dieses Konzepts dar. Konkret betrifft das den Status des Künstlers ebenso wie denjenigen der an der Simulation und der späteren künstlerischen Reflektion teilnehmenden Rollenspieler*innen. Für beide gibt es ein Set vorgegebener Anlagen, Inhalte und diverser Entscheidungsmöglichkeiten, das sich zu verselbstständigen beginnt, in eine selbstgenerierende Handlung übergeht und an irgendeinem Punkt in reine Annahme mündet. Fornieles hat für diese Art der Bedingungslosigkeit nun das Beispiel par excellence gewählt: die Unausweichlichkeit des eigenen Endes, des nahenden Todes.7 Deshalb hören wir in den Erzählungen in „Sim Vol. 1: Existential Risk“ von abgewehrten wie unaufhaltsamen Bedrohungen. Mehr noch, es erfüllt sich das Anfangszitat, denn was sich so reißerisch anbahnt – die Gefahr, einer Epidemie zu erliegen und damit die klischeehafte Reduktion des Rollenspiels auf Sensation und Abstumpfung – stülpt sich um in das Erfahren von Liebe und Zuneigung und steigert sich in den folgenden Episoden anderer Spieler zu einem Diskurs über Frieden, Handlungs- und Willensfreiheit.
Das meint nicht nur die Nacherzählung des Spielverlaufs – die Kranke wird von ihren Mitspieler aufgesucht und gepflegt, gleichwohl sich letztere der Gefahr der Ansteckung aussetzen; eine weitere Spielerin erschlägt ein spielendes Kind von hinten, weil dieses die Sicherheit der Gemeinschaft gefährdet –, sondern insbesondere Passagen der Selbstreflektion über das Spielen in einer Simulation, die nicht nur Teil eines jeden der insgesamt vier Spielberichte sind. Fornieles stellt seiner Doppelprojektion einen Schaukasten gegenüber, der das sogenannte Game Book enthält, im Prinzip die Spielanleitung. Aufgeschlagen ist eine Doppelseite, die die Zwischenüberschriften „Emotional Confrontation“, „A Last Walk“, „No Escape“ und „Death as Gateway“ sowie eine mit „Multidimensional Being“ betitelte Illustration enthält. Letztere könnte man als so etwas wie den Schlüssel oder Kulminationspunkt von „Sim Vol.1 – Existential Risk“ lesen. Denn genau darum geht sich: sich selbst im Spielen in seinen vielen möglichen Ichs zu erfahren. Deshalb der Rückgriff auf eigene konkrete Erfahrungen und zwischenmenschliche Beziehungen und die damit verbundene Gefühlswelt, die den simulierten Handlungen eine weitere Dimension hinzufügen. Derartige Sprünge zwischen den Welten schildern alle der Teilnehmenden Spieler*innen im Film. Es geht also gar nicht darum, in der Fiktion eines Spiels zu bleiben – auch für uns nicht –, sich in eine solche zu flüchten oder um das Ausleben eines Gewaltpotentials und der eigenen Lust daran (dieses Stereotyp umspielt Fornieles sehr wohl mit seinem Intro, das auf den passiven Filmgenuss zielt und uns zunächst in die Irre leitet). In dieser Hinsicht zerstört oder dekonstruiert das Sprechen über das Spielen im Film auch keine Illusion. Um die Kontinuität einer intakten Spielwelt geht es Fornieles nicht. Deshalb hören wir von den Handlungssträngen so kryptisch ausschnitthaft (es wird eben nicht ausgeführt, um welche Krankheit es sich handelt etc). Und auch die 3D-Animationen, die sich einem Bildgebungsverfahren aus dem Gerichtswesen verdanken, sind bloß nachträgliche Repräsentationen. Rollenspiele, wie auch dasjenige, an dessen Game Book Fornieles seit längerem arbeitet und aus dessen Vorbereitung „Sim Vol. 1 – Existential Risk“ hervorgeht, ereignen sich mündlich oder schriftlich, ihre Grundform ist der Dialog, das Gespräch. An diesem lassen uns Fornieles, quasi als regieleitender Spielführer, und die Spieler*innen teilhaben. Was sie mitteilen, ist dabei ganz und gar nicht lachhaft oder banal: Zum Beispiel, dass es Regeln und eine Form der Gewalt brauche, um die Sicherheit und den Frieden der Gruppe zu wahren. Losgelöst vom Film hört sich das nach einer ironischen Offenlegung von Selbstdisziplinierung und -überwachung an. Im Film aber überzeugt diese Stelle als eine aus der Erfahrung erwachsene Aussage, die auf nichts geringeres weist, als die große Frage nach Selbstbestimmung. Mit einem angesichts des drohenden Weltuntergangs den Freitod wählenden Spieler führt Fornieles dafür eine weiteres Beispiel an und erreicht einen Punkt, an dem nicht nur die Erfahrungswelten ineinander aufgehen, sondern sich etwas von der Intensität dieser Erfahrung einer letztmöglichen eigenen Entscheidungsfähigkeit überträgt.
„It is scary to think about all the potential that is lost by those who don’t have the courage to unleash it.“8
Kristin Schrader
Kristin Schrader arbeitet im Städel Museum und in der Liebieghaus Skulpturensammlung.